Volksgruppen in Österreich
Unter „Volksgruppen“ versteht die österreichische Rechtsordnung „die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum“ (§ 1 Abs. 2 des Volksgruppengesetzes). Volksgruppen unterscheiden sich somit durch ihre enge territoriale und ideelle Bindung an Österreich von anderen ethnischen Gruppen, wie sie insbesondere durch eine noch nicht lange zurückreichende Zuwanderung entstehen können. Die Unterscheidung zwischen solchen „neuen Minderheiten“ und Volksgruppen ist schwierig, weshalb der Status als Volksgruppe eine staatliche Anerkennung erfordert; bisher gibt es allerdings kein ausreichend geregeltes Verfahren für eine derartige Anerkennung.
Anerkannt sind derzeit sechs Volksgruppen: Kroaten, Slowenen, Ungarn, Tschechen, Slowaken und Roma. Ihre - bereits vor Jahren offiziell in Aussicht gestellte - Anerkennung verlangen auch die insbesondere im Raum Wien beheimateten Polen. Die kroatische Volksgruppe reicht in ihren Anfängen auf im 16. Jahrhundert vor den Türken ins heutige Burgenland Geflüchtete zurück und ist seither auch in Wien heimisch geworden. Wesentlich länger lässt sich die Geschichte der heutigen slowenischen Volksgruppe in Kärnten (und zu einem sehr kleinen Teil auch in der Steiermark) zurückverfolgen. Tschechische und slowakische Volksgruppe haben ihre Wurzeln in der Arbeitsmigration nach Wien und Niederösterreich im 19. Jahrhundert. Die Volksgruppe der Roma ist vereinzelt in mehreren Teilen Österreichs beheimatet, insbesondere im Burgenland und im Raum von Wien.
Verlässliche Angaben über die zahlenmäßige Größe der Volksgruppen sind angesichts der weitverbreiteten Mehrsprachigkeit so gut wie aller Volksgruppenangehörigen sowie der vielfachen Ablehnung, die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe öffentlich erklären zu sollen, nicht möglich. Hinzu kommt, dass das – problematische – Hilfskriterium der „Umgangssprache“ im Rahmen der staatlichen Volkszählungen nicht mehr erhoben wird. Den sehr divergierenden Schätzungen zufolge könnte lediglich davon ausgegangen werden, dass der Gesamtanteil aller Volksgruppen an der etwa 8 Millionen zählenden österreichischen Bevölkerung etwas mehr als 1 % betragen dürfte.
Jede der Volksgruppen ist in einer zum Teil außerordentlich bunten Vielfalt von Vereinen organisiert. Zu einem Zusammenwirken der wichtigsten Meinungen innerhalb einer Volksgruppe können die gesetzlich seit 1976 vorgesehenen, de facto sukzessive ab 1979 eingerichteten Volksgruppenbeiräte – jeweils für eine Volksgruppe – beitragen. Da sie allerdings nur beratenden Charakter besitzen und sich in den letzten Jahren fast ausschließlich mit der Verteilung der – den Volksgruppen grundsätzlich zustehenden – besonderen Förderungsmittel befassen konnten, wird nunmehr eine institutionelle Aufwertung der Volksgruppen gefordert. Diese ist so gedacht, dass jede Volksgruppe verfassungsrechtlich als eigene Rechtsperson, mit der Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts, festgelegt wird und ihre eigenen Angelegenheiten selbständig regeln kann.
Die Volksgruppen genießen die ethnischen bzw. sprachlichen Menschenrechte, wie sie völkerrechtlich in zwei Europaratskonventionen (Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten sowie Charta der Regional- oder Minderheitensprachen) verankert sind. Historisch älter, aber in der Regel weniger umfassend, sind die auf die slowenische und kroatische Volksgruppe beschränkten Sonderregelungen des Österreichischen Staatsvertrags von 1955, ferner die Minderheitenschutzbestimmungen des Staatsvertrags von St.Germain aus 1919, wohl auch Art. 19 des Staatsgrundgesetzes aus 1867. Die hier angesprochenen ethnischen Menschenrechte betreffen insbesondere den Gebrauch der jeweiligen Volksgruppensprache in der Schule, im Verkehr mit amtlichen Stellen und in der amtlichen Topografie. Für das Volksgruppen-Schulwesen im Burgenland (für die kroatische und die ungarische Volksgruppe) und in Kärnten für die slowenische Volksgruppe) bestehen eigene Gesetze, die übrigen Siedlungsgebiete der Volksgruppen (insbesondere Wien !) sowie alle anderen Volksgruppen sind auf das private – wenn auch zum Teil staatlich geförderte – Schulwesen angewiesen. Die allgemeinen, zumeist einfachgesetzlichen Aussagen über die Volksgruppen, z.B. betreffend die Amtssprache, enthält das anfangs erwähnte Volksgruppengesetz.