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Ethnische Gruppen in der Bundeshauptstadt Wien

Auszug aus dem Vorwort des Herausgebers

"[…] Der Plan, sich mit den Problemen der Wiener ethnischen Gruppen im Rahmen eines Symposiums zu befassen, ist aus der Notwendigkeit einer interethnischen Zusammenarbeit entstanden. Aus den seit dem Frühjahr 1981 geführten Kontaktgesprächen wurde immer deutlicher, daß die Großstadtminderheiten trotz unterschiedlicher historischer Wurzeln, Sozial-und Bildungsstruktur, ja sogar der Sprachen, die sie sprechen, im wesentlichen mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Diese betreffen die Fragen der Isolation und Assimilation bzw. in Verbindung damit der permanenten Kontraselektion. Um es gleich vorwegzunehmen, sind damit weniger die Fälle der persönlichen Benachteiligung, als vielmehr die unzulänglichen Möglichkeiten für den gemeinschaftlichen Weiterbestand gemeint.
Die Großstadt erweist sich gegenüber den Zuwanderern – und ethnische Gruppen dieser Art bilden sich primär aus ihnen – letztlich als Schmelztiegel, in dem aus ländlichen Bevölkerungsschichten zunächst Arbeiter, dann – im weitesten Sinne – städtische Bürger, aus nicht deutschsprachigen Fremden im konkreten Fall deutschsprachige Wiener werden.
Obwohl Wien zur Zeit der Donaumonarchie als die deutsche Stadt, die den größten Anteil an fremdvölkischen Elementen aufwies (1857 waren 48,10%, 1869 55,41 %, 1910 44,83% der Gesamtbevölkerung Fremde), bekannt war, konnten sich diese als Gruppen ohne Hinterland, d. h. ohne den ständigen Nachzug ihrer Volksgenossen gegenüber der deutschsprachigen Mehrheit auf die Dauer nicht behaupten.[…]
Von der Warte einer wie auch immer verstandenen Emanzipation wird daher die Assimilation begreiflicherweise als sozialer Aufstieg, Befreiung, die Isolation oder das Verharren in einer ihres Selbstverständnisses ledigen ethnisch-sozialen Abkapselung als psychologisch-geistige Unfähigkeit gewertet. Arroganz und Minderwertigkeitsgefuhl als kontrahänte Begriffe gehören zu den Gemeinplätzen im Vokabular der Betroffenen. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit wird somit in den Augen der vermeintlichen Aufsteiger zur Infantilität. Zwischen dem Ererbten und Erworbenen tut sich qualitativ eine provinziell-urbane Diskrepanz auf, die infolge von Verständnislosigkeit seitens der Mehrheitsbevölkerung kaum zu überwinden ist.
Solchen kleinbürgerlich-nationalistischen Ansichten sei entgegengehalten, daß die Mehrsprachigkeit in der nachbabylonischen Ära der Sprachenverwirrung immer schon ein Indikator der Bildung war. Dazu galten und gelten die Städte, voran die Großstädte als Brut- und Pflegestätten von Bildung und Kultur; […].
In der modernen Welt können die Volksgruppen in ihren zumeist ländlichen Siedlungsgebieten auf ihre eigene Intelligenz, die verständlicherweise in der Stadt ihre Bildung empfängt, aus existenziellen Gründen nicht verzichten. […]
Die Möglichkeiten einer wohlverstandenen Integration bleiben. sowohl von Seiten der Mehrheit als auch der Minderheit in den Überlegungen einer kurzsichtigen Politik schlicht ausgeklammert. Es wäre aber hoch an der Zeit im Interesse der gemeinsamen Zukunft, die erfreulicherweise nicht bei den Gemeindegrenzen endet, die Umkehr im Denken und in der Einstellung zu den Problemen in bezug auf die Minderheiten einzuleiten. […]“ 

Herausgeber, Verleger, für den Inhalt verantwortlich: Dr. Ernő Deák,
1200 Wien, Stromstraße 18-20/9/1; Erschienen in der Reihe integratio, Band 15. Wien, 1982